Literatureintrag betrachten

Titeldaten zur Literatur

Haupttitel:

Die Regeln der Kunst

Untertitel:

Genese und Struktur des literarischen Feldes

Verfasser:

Bourdieu, Pierre

Zusätze:

Ãœbersetzt von Bernd Schwibs und Achim Russer

Publikationstyp:

Monographie

Reihentitel:

- keine Angaben -

Seitenumfang:

552 S.

Sprachcode:

deutsch

Erschienen:

Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1999

Persistente URL:

http://literaturtheorie.uni-goettingen.de/literatureid/64682

Theorien:

Sozialgeschichte

Schlagworte:

Autonomie

â€šAutonomâ€™ heiÃŸt, wÃ¶rtlich Ã¼bersetzt, â€šeigengesetzlichâ€™. Die Annahme, dass Literatur bzw. ein literarisches Werk â€šautonomâ€™ ist, gilt vielen Ã¤sthetischen Theorien und Literaturtheorien als Gemeinplatz. Im Einzelnen kann die Rede von der Autonomie des Literarischen Unterschiedliches besagen â€“ nÃ¤mlich unter anderem: (1) Institutionelle Autonomie: Produktion und Rezeption literarischer Werke unterliegen eigenen Konventionen oder Regeln; (2) Ideologische Autonomie: Literatur ist unabhÃ¤ngig von â€šherrschendenâ€™ Ideologien â€“ etwa seitens des Staats oder der Kirche; (3) Interpretationstheoretische Autonomie: Das literarische Werk wird, wenn es einmal verÃ¶ffentlich ist, als unabhÃ¤ngig von seinem Entstehungskontext angesehen (vgl. Interpretation, intentional fallacy); (4) Semantische Autonomie: Fiktionale Literatur nimmt nicht auf die Wirklichkeit Bezug (vgl. Semantik); (5) Fiktionslogische Autonomie: Fiktive Welten sind eigengesetzlich und unterscheiden sich in verschiedenen Hinsichten von der Wirklichkeit (vgl. [[keyword:FiktionalitÃ¤t]]). Ausgehend von der These, Literatur bzw. Kunst sei in einem der eben genannten Sinne autonom, argumentieren Vertreter des sogenannten Autonomismus gegen zweckrationale Funktionalisierungen von Kunst. Zum Beispiel ist eine moralische oder kognitive Auseinandersetzung mit Literatur aus Sicht des Autonomismus dem Gegenstand unangemessen. AusschlieÃŸlich oder vorrangig Ã¤sthetische Kriterien seien fÃ¼r die Beurteilung von Literatur relevant.

Autor

Unter dem Autor eines Texts oder Werks versteht man zumeist dessen geistigen Urheber, der mit demselben eine bestimmte Intention verfolgt und als Individuum in einem lebensweltlichen Zusammenhang von historischen, sozialen, kulturellen etc. Faktoren beeinflusst sein kann (vgl. Kontext). Der Autor gilt als eine zentrale Instanz in der Literaturwissenschaft; jedoch ist die Frage umstritten, ob und inwiefern seine Intention und/oder lebensweltliche Aspekte im Rahmen literaturwissenschaftlicher Fragestellungen zu berÃ¼cksichtigen sind. In verschiedenen Literaturtheorien wird sie recht unterschiedlich beantwortet: Intentionalistischen AnsÃ¤tzen wie etwa bestimmten Varianten der literarischen Hermeneutik (z.B. Eric D. Hirsch) gilt der Rekurs auf die Intention des Autors als eine, wenn nicht gar als die entscheidende BezugsgrÃ¶ÃŸe zur Ermittlung der Bedeutung eines Texts. Einige [[keyword:Psychoanalytische Literaturwissenschaft:psychoanalytische AnsÃ¤tze]] fokussieren mit ihren Fragestellungen Aspekte der Psyche des Autors. DarÃ¼ber hinaus kÃ¶nnen bestimmte Merkmale des Autors als Individuum in unterschiedlicher Weise von Bedeutung sein. In Marxismus und Sozialgeschichte sind es soziale Faktoren wie Klasse bzw. Milieu des Autors, in den Gender Studies das Geschlecht als biologisches oder als kulturelles Konstrukt (vgl. Gender), in den Postcolonial Studies die [[keyword:EthnizitÃ¤t:EthnizitÃ¤t]], die eine Rolle spielen. FÃ¼r weitgehend textimmanente AnsÃ¤tze wie Werkimmanenz, New Criticism, Formalismus und Strukturalismus ist der Autor nur insofern relevant, als sich aufgrund dieser Instanz die Texte historisch situieren lassen. William K. Wimsatts und Monroe C. Beardsleys These eines â€šintentional fallacyâ€™ erklÃ¤rt die Intention des Autors fÃ¼r irrelevant. Poststrukturalistische und dekonstruktivistische Positionen (vgl. Dekonstruktion) sehen programmatisch vom Autor ab: Roland Barthes proklamierte den â€šTod des Autorsâ€™, Michel Foucault erklÃ¤rte den Autor zu einem Effekt von Diskursen, [[keyword:IntertextualitÃ¤tstheorien]] betrachten den Text nicht als intentional hervorgebracht, sondern als Gewebe von Zitaten.

Feld

Zentraler Begriff der Sozialtheorie Pierre Bourdieus, mit dem er den Gesellschaftsbegriff nach einzelnen, eigenstÃ¤ndigen Handlungsbereichen differenziert. Das literarische Feld, das sich im 19. Jahrhundert autonomisiert, ist in seiner Struktur und Funktionsweise mit allen anderen gesellschaftlichen Feldern vergleichbar (z.B. mit dem Feld der Politik oder dem Feld der Religion): Die Handlungsweise der einzelnen Akteure (agents) ist dabei abhÃ¤ngig von der feldinternen, konstitutiven und historisch bedingten Eigengesetzlichkeit, dem individuellen Habitus der Akteure und dem von ihnen akkumulierten Kapital.

Habitus

Mit diesem von Ernst Panofsky entlehnten Begriff bezeichnet Pierre Bourdieu diejenigen gesellschaftlich und historisch bedingten dauerhaften Dispositionen, die als 'Vermittler zwischen Struktur und Praxis' das Wahrnehmen, Denken und Handeln eines Akteurs in einem Feld steuern. In der Literaturwissenschaft findet dieses handlungstheoretische Konzept Bourdieus u.a. im Rahmen von Figurenanalysen, innerhalb von Untersuchung der Handlungen der Experten des Literaturbetriebs (wie Autoren, Literaturkritiker etc.) sowie in der Rezeptionsforschung Anwendung.

Heteronomie

Unter 'Heteronomie' (Gegenbegriff: 'Autonomie') versteht man in sozialgeschichtlich orientierten AnsÃ¤tzen die AbhÃ¤ngigkeit eines sozialen Systems oder Felds von Ã¤uÃŸerer Gesetzgebung. WÃ¤hrend von Vertretern einer Autonomie-Ã„sthetik die UnabhÃ¤ngigkeit der Literatur von literaturfremden, zweckrationalen Faktoren behauptet oder gefordert wird, steht der Einfluss heteronomer Prinzipien auf Literatur im Mittelpunkt vieler zeitgenÃ¶ssischer literatursoziologischer Studien. Untersucht werden hier z.B. die Auswirkungen politischer oder Ã¶konomischer Rahmenbedingungen auf die Produktion und Verbreitung von Literatur.

Homologie

Unter â€šHomologieâ€™ versteht man allgemein die strukturelle Ãœbereinstimmung mindestens zweier, voneinander unabhÃ¤ngiger Zeichen, Texte, Systeme oder Felder. In sozialgeschichtlichen Modellen wie dem von Pierre Bourdieu findet der Begriff Verwendung, um erstens die strukturelle Vergleichbarkeit unterschiedlicher Felder und zweitens das VerhÃ¤ltnis von Habitus und Feld zu beschreiben, die zueinander in einem homologen, aber nicht mechanisch-deterministischen VerhÃ¤ltnis stehen.

Kapital (soziales, kulturelles, Ã¶konomisches, symbolisches)

'Kapital' nennt Pierre Bourdieu diejenigen 'EinsÃ¤tze' (enjeux), die der einzelne Akteur als 'akkumulierte Arbeit' beim Agieren in einem sozialen Feld aufs Spiel setzt und um die dort gestritten wird. Die wichtigsten Formen sind soziales Kapital ("Ressourcen, die auf der ZugehÃ¶rigkeit zu einer Gruppe beruhen"), kulturelles Kapital (objektiviert in Form von BÃ¼chern, GemÃ¤lden, Maschinen etc., inkorporiert als kulturelles Wissen und kulturelle Kompetenzen, institutionalisiert z.B. in Form von akademischen Graden) und Ã¶konomisches Kapital (die unterschiedlichen Formen des materiellen Reichtums). Als 'symbolisches Kapital' bzw. 'symbolische Effekte des Kapitals' bezeichnet Bourdieu die "wahrgenommene und als legitim anerkannte Form" dieser drei Kapitalarten, also das Prestige, das der Akteur mit der Akkumulation von Kapital erwerben kann.

Sartre, Jean-Paul

Der franzÃ¶sische Philosoph, Publizist und Schriftsteller Jean-Paul Sartre (1884-1980) setzte sich in seinem umfangreichen Werk auch mit Fragen auseinander, die Randbereiche der Literaturtheorie berÃ¼hren. Hier ist vor allem sein Essay â€žQu'est-ce que la littÃ©rature?â€œ (1948; dt. â€žWas ist Literatur?â€œ, 1950) zu nennen, der die Frage nach Funktion und Aufgabe der Literatur innerhalb der Gesellschaft mit einem entschiedenen PlÃ¤doyer fÃ¼r das Engagement beantwortete (das Sartre spÃ¤ter freilich relativierte). Er regte in Frankreich und Deutschland Debatten an, die literaturwissenschaftliche Positionen z.B. der Ideologiekritik, des Marxismus, der Literatursoziologie und der Sozialgeschichte befruchteten.

Sozialgeschichte

Der Begriff â€šSozialgeschichte der Literaturâ€™ wird in der Literaturwissenschaft unterschiedlich weit verwendet. (1) In einem engeren Sinne wird die Richtung der gesellschaftswissenschaftlich begrÃ¼ndeten Literaturtheorien als â€šSozialgeschichte der Literaturâ€™ bezeichnet, die seit Mitte der 1970er bis Ende der 1980er Jahre im deutschen Sprachraum besonders fruchtbar war und neben zahlreichen sozialgeschichtlichen Interpretationen auch groÃŸ angelegte Literaturgeschichten hervorgebracht hat. (2) In einer weiten Begriffsverwendung bezeichnet der Begriff jede Literaturtheorie, die gesellschaftlichen Strukturen einen bestimmenden Einfluss auf die Literatur zugesteht. Sozialgeschichtliche TheorieansÃ¤tze beziehen sich auf neuere Gesellschaftstheorien und betrachten Literatur als Bereich sozialer Kommunikationshandlungen, der sich als System (z.B. als â€šSozialsystem Literaturâ€™) oder als soziales KrÃ¤ftefeld (Bourdieu) konzipieren lÃ¤sst. Dieser Bereich steht in Wechselbeziehungen mit anderen gesellschaftlichen Systemen. Je nach Untersuchungsperspektive lassen sich literarische Texte als Bestandteil sowohl des Symbolsystems als auch des Sozialsystems einer Gesellschaft bzw. Kultur untersuchen. Gefragt wird im Einzelnen nach den Merkmalen von Literatur als soziale Institution, nach dem Einfluss sozio-historischer Faktoren auf literarische Entwicklungen, nach Handlungsrollen, Werten oder Normen in der Produktion, Vermittlung und Rezeption von Literatur oder nach den sozialen Wirkungen literarischer Texte und Akteure (vgl. Rezeption und Wirkung). Mit diesem Fokus auf Wechselwirkungen zwischen literarischen StrÃ¶mungen und sozialen Entwicklungen werden sowohl literaturgeschichtliche PhÃ¤nomene als auch gegenwÃ¤rtige Prozesse des Literaturbetriebs untersucht. Verbreitet sind insbesondere systemtheoretische Untersuchungen in der Tradition Luhmanns sowie feldtheoretische Studien im Anschluss an Bourdieu.

Verdichtung

Nach Sigmund Freud zÃ¤hlt die â€šVerdichtungâ€™ wie die â€šVerschiebungâ€™ zu den Mechanismen der â€šTraumarbeitâ€™. Diese Mechanismen sorgen dafÃ¼r, dass im Traum â€“ mit dem Literatur analogisiert wird (vgl. Psychoanalytische Literaturwissenschaft) â€“ unbewusste Inhalte, die sich ins Bewusstsein drÃ¤ngen wollen, so entstellt werden, dass sie fÃ¼r das â€šIchâ€™ akzeptabel werden. Jacques Lacan versteht unter dem metaphorischen â€šVerdichtenâ€™ und dem metonymischen â€šVerschiebenâ€™ zwei Mechanismen, die das wie eine Sprache konstituierte Unbewusste strukturieren.

Annotationen

Annotationstyp	Annotation	Auswahl
Inhaltsverzeichnis	Vorwort 9 PROLOG Flaubert als Analytiker Flauberts. Eine LektÃ¼re der Erziehung des Herzens 19 PlÃ¤tze, Plazierungen, Deplazierungen 20 Die Frage des Erbes 29 D [...]Weiter lesen
Kurzinhalt	Im 19. Jahrhundert hat sich das literarische Universum herausgebildet, das wir heute kennen â€“ ein von staatlichen Institutionen und Akademien losgelÃ¶stes Feld. Ãœber das, was geschrieben werden so [...]Weiter lesen
Rezensionen	Renate Werner in: Germanistik 41 (2000), S. 76f.

Hyperlinks auf Webseiten

URL	Sichtung	Bemerkung	Auswahl
http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/friedri2.html	19.12.2006	Rezension von Hans-Edwin Friedrich.

Verweise anderer Literatur auf diesen Eintrag

Von Literatur

Typ

Bemerkung

Auswahl

Haupttitel:	Les rÃ¨gles de l'art
Verfasser:	Bourdieu, Pierre
Orte / Verlage / Jahre:	Paris, Ã‰ditions du Seuil, 1992
Publikationstyp:	Monographie
Theorien:	Sozialgeschichte
Schlagworte:	Autor; Habitus; Kapital (soziales, kulturelles, Ã¶konomisches, symbolisches); Feld; Sartre, Jean-Paul; Heteronomie; Autonomie; Sozialgeschichte; Homologie; Verdichtung