Beschreibung: | Theorien der Bildung und der Funktion kultureller Kanones. Wie der Begriff ‚Kanon’ unter Rekurs auf Faktoren wie zeitliche Tradierung und Präsenz innerhalb eines kulturellen Kontexts genau zu explizieren ist, ist in der Forschung bis heute umstritten. Unter einem Literatur-Kanon wird in aller Regel die Teilmenge literarischer Texte verstanden, die als besonders wertvoll, wichtig oder einflussreich gilt und an deren Tradierung einer Trägergruppe gelegen ist. Ein solcher Kanon liegt nicht als abgeschlossene Liste oder Verzeichnis vor, sondern ist anhand der Präsenz literarischer Texte in verschiedenen Medien wie z.B. Anthologien, Verlagsprogrammen, Lexika und der Kommunikation der Öffentlichkeit oder Literaturexperten über sie rekonstruierbar. Die Kriterien, nach denen Texte als kanonisch ausgewählt und interpretiert werden, sind historisch und kulturell variabel. Mindestens drei wichtige Funktionen, die Kanones erfüllen, werden in der Forschung unterschieden: (i) Identitätsstiftung (vgl. [[keyword:Identität]]) für eine Trägergruppe; (ii) Legitimationsfunktion, d.h. Rechtfertigung und Abgrenzung der Gruppe gegenüber anderen Gruppen; (iii) Handlungsorientierung, d.h. Kodierung von Wissen, ästhetischen Normen, Moralvorstellungen oder Verhaltensregeln. Weiterhin wird zwischen dem hochkulturellen Kanon und Sub-Kanones bestimmter sozialer Gruppen wie z.B. Genre-Kanones unterschieden. Neben dem sogenannten ‚materialen Kanon’, in dem als wertvoll markierte Texte tradiert werden, wird außerdem von einem ‚Deutungskanon’ gesprochen, innerhalb dessen Interpretationen dieser Texte überliefert werden. In Kanontheorien werden Modelle der Bildung, Struktur und Erklärung von Literatur-Kanones aufgestellt. Kontrovers diskutiert werden nicht nur notwendige oder hinreichende Bedingungen der Kanonizität kultureller Gegenstände, sondern auch die Frage, wie der Einfluss kausaler und finaler Faktoren auf Kanonisierungsprozesse zu systematisieren ist. |